Gebet für die Stadt



Die Geschichte der Menschheit fing in einem Garten an und endet in einer Stadt. Gott liebt Städte und die Menschen, die darin leben. Wenn wir für unsere Städte beten, tragen wir dazu bei, die Geschichte dieser Stadt zu prägen und zu verändern. Was für ein Auftrag!

von Kerstin Hack, Berlin

"Geistlich ist Prag eine Stadt mit viel Potential. Viele Impulse sind von dieser Stadt in die Welt gegangen, nicht zuletzt durch Jan Huss. Jetzt liegt Prag wie im Dornröschenschlaf. Es ist die Aufgabe von uns Christen, diese Stadt wieder wachzuküssen", sagte mir vor einiger Zeit ein geistlicher Leiter bei einem Gebetspaziergang durch die Altstadt von Prag.
Nicht alle Teilnehmer konnten etwas mit der blumig-bildhaften Sprache anfangen und außer dem Papst sind bisher wahrscheinlich nur wenige Menschen der Aufforderung eine Stadt "wachzuküssen" im wörtlichen Sinn nachgekommen. Dennoch zeigte sich in dem Satz für mich ein Verständnis, das für das Gebet für Städte ungemein wichtig ist: Städte haben Charakter und ein Wesen. Sie sind nicht in erster Linie eine Ansammlung von Gebäuden, sondern von Menschen. Und als "kollektive Gruppe von Menschen" haben sie wie Individuen Geschichte, Prägungen, Wunden, Erfahrungen. Es gibt in ihnen Bereiche, die offen und andere, die verschlossen für das Evangelium sind. Die ganze Bibel hindurch spricht Gott Völker (allen voran Israel) und Städte an, als wären es Personen. Wenn man leidenschaftlich und liebevoll für eine Stadt beten will, ist es wichtig, sie in ihrer "Persönlichkeit" zu sehen und zu verstehen. Dazu gehört:


Sehen

Als Jesus Jerusalem sieht, fängt er an zu weinen und über ihr zu prophezeien (Luk. 19, 41). Immer wieder fragt Gott die Propheten "Was siehst Du?" (z. B. Jer. 1,11) Die meisten Menschen sind stark visuell orientiert: Sie müssen etwas sehen, um einen Bezug dafür zu bekommen. Deshalb ist das nach-draußen-gehen, vor Ort beten, ein Schlüssel dafür, ein Herz für die Stadt zu bekommen.
In den Jahren 1998 – 1999 gingen wir mit einer Gruppe von Christen aus Ost und Westberlin entlang des Mauerstreifens, um für wachsende Einheit zwischen Ost und West zu beten. Wir liefen vorbei an Wachtürmen, zerteilten Straßen, Kreuzen zur Erinnerung an erschossene Flüchtlinge. Das hat das unsere Herzen viel tiefer berührt, als hätten wir für das gleiche Anliegen innerhalb der Mauern unserer Gemeindehäuser gebetet.

Verstehen

Wenn man heilend für Menschen beten will, muss man ihre Geschichte verstehen, sehen, was sie geprägt und verletzt hat. Gleiches gilt für Städte. Am Beispiel von Nehemia oder den Kundschaftern, die Israel erforschen, sieht man, wie wichtig Gott eine genaue Analyse der Stadt bzw. des Landes ist. (4. Mo. 13,17-20 und Neh. 2, 11-15) Er will, dass seine Leute, die Region kennen und verstehen, die er ihnen anvertrauen will. Jede Stadt hat aufgrund ihrer spezifischen Charakteristika das Potential bestimmte Dinge zur Ausbreitung des Reiches Gottes beizutragen. Ebenso hat sie eine negative Geschichte des Missbrauchs ihrer Gaben und ihres Potentials für eigennützige und negative Zwecke. Eine (grobe) Analyse dieser Geschichte und Prägung, kombiniert mit dem, was einzelne prophetisch begabte Fürbitter an Eindrücken für die Stadt empfangen haben, kann ein unschätzbar wertvolles Werkzeug für effektives, verständnisvolles Gebet sein.


Berühren


"Durchschreite das Land seiner Länge und Breite nach", "Erforscht und erkundet das Land" fordert Gott Abraham bzw. Mose die Kundschafter auf (1. Mo. 13, 17 u. 4. Mo. 13, 17). Er hätte Abraham das Land durchaus ohne die Ost-West-Nord-Süd Wandertour geben können. Und warum hat er dem großen Propheten Mose nicht einfach eine visionäre Schau über den Zustand des verheißenen Landes gegeben? Das wäre wesentlich bequemer und ungefährlicher gewesen wäre als die personal- und zeitintensive Aussendung von Kundschaftern (ganz abgesehen von der Problematik, die ihre unterschiedliche Interpretation der Erlebnisse mit sich brachte).
Gott war das "Berühren" des Landes durch seine Leute wichtig. Dabei geht es nicht um ein magisches Hokuspokus ("ich habe meinen Fuß darauf gesetzt, also gehört es mir, äh, Gott, meine ich!"), sondern darum, dass durch Begegnen und Berühren ein tiefere Ebene dessen, sich etwas zu eigen zu machen, erreicht wird. Berühren und Begreifen sind ebenso eng miteinander verbunden wie sehen und verstehen. Die innere Distanz wird durch die physische Berührung überwunden. Etwas oder Jemand, den oder das man berührt und umarmt hat wird einem vertraut. In gleicher Weise ist eine Stadt, deren wichtigste Gebäude man im Gebet und mit den eigenen Händen berührt hat, dem Herzen näher als eine, die man nur aus Büchern kennt.


Wie macht man es praktisch?


Es gibt einige gute Bücher zum Thema Aufbau von strategischem Gebet für Städte, deshalb sollen hier ein paar einführende Tipps genügen. Um eine Stadt mit Gebet zu durchdringen, kann man von vier Eckpunkten ausgehen.

Individuelles Gebet: Einzelne Christen beten in ihrer persönlichen Zeit mit Gott für ihre Stadt Sowohl Jesus als auch die Propheten haben immer wieder für Städte und Länder gebetet. Gemeinsames Gebet: Christen aus einem Hauskreis, einer Gemeinde oder der ganzen Stadt (wie z.B. in Cali, Kolumbien) beten zusammen. Die Bibel fordert auf, für den Frieden der Stadt zu beten. Dieser Aufruf wird im Plural an alle gegeben. Er galt nicht in erster Linie einigen „gesalbten Fürbittern“ sondern dem ganzen Volk, die sich auf die eine oder andere Weise daran beteiligen sollten für das „sündige Babylon“ (nicht das „heilige Jerusalem“) zu beten. Die Aktion „Der Wächterruf“ (www.waechterruf.de) hat in den letzten Jahren bahnbrechendes darin geleistet, Gruppen und Gemeinden aus mehreren Hundert Städten zum gemeinsamen Gebet für ihre Städte zu motivieren.

Themenbezogenes Gebet: Während die einen lieber im Allgemeinen für die ganze Stadt beteten, „beißen“ sich die anderen lieber an konkreten Themen fest: Im Gebet werden spezifische Anliegen und Personengruppen der Stadt aufgegriffen (Politik, Wirtschaft, Soziales, Geistliche Situation). Das können zum Beispiel Studenten sein, die sich in der Mittagspause zum Gebet für ihre Kommilitonen treffen, oder Mütter, die im Gebet für die Schulen ihrer Sprösslinge eintreten. Angestellte, die für ihre Kollegen beten. Oder....

Regionales Gebet: Einzelne Regionen der Stadt werden mit Gebet bedeckt (z.B. eine Schule, Straße oder ein Stadtteil). Manche Gemeinden nehmen sich Stadtpläne vor und durchziehen eine Strasse nach der anderen im Gebet, andere Fürbitter gehen regelmäßig betend durch die Strassen ihres Wohnblocks oder zu bestimmten sozialen und geistlichen Brennpunkten.

Innerhalb dieses Rahmens bewegt sich Gebet für die Stadt und kann in der ganzen Vielfalt der möglichen Kombinationen gestaltet werden. Es gibt meiner Ansicht nach keine fixen Regeln, wie man für eine Stadt beten "muss". Gott legt jedem Menschen unterschiedliche Dinge aufs Herz und keiner soll sich zwingen, betend durch die Straßen zu laufen, wenn er lieber vor seinem Computer sitzt und segnend für die Bürgervertreter seiner Stadt betet. Man kann es Gott, dem großen Meisterkoordinator durchaus zutrauen, dass er schon weiß, wie er die Gebetsanliegen auf seine "Gebetsmannschaft" verteilen kann.

Wenn es in einer Stadt organisatorisch möglich ist, ist es ideal, eine "Gebetszentrale" einzurichten, die Gebetsanliegen sammelt und weiterleitet (Email, Fax, Telefon...) Einige derartige Initiativen gibt es bereits (zum Beispiel Gebet für Berlin, andere sind am Entstehen.
Die Geschichte der Menschheit fing in einem Garten an und endet in einer Stadt. Gott liebt Städte und die Menschen, die darin leben. Wenn wir für unsere Städte beten, tragen wir dazu bei, die Geschichte dieser Stadt zu prägen und zu verändern. Was für ein Auftrag!

------------------------

Kerstin Hack
www.down-to-earth.de
Der Artikel erschien zuerst in „Praxis“.
Mit freundlicher Genehmigung für Glaube.de

Kerstin Hack leitet den Verlag und Lehrdienst Down to Earth, der sich auf den Themenkomplex “Transformation von Regionen” konzentriert. Auf der Homepage (www.down-to-earth) sind weitere Artikel zum Thema Gebet, Einheit und Transformation von Städten, sowie Bücher und Videos zu diesen Themen zu finden.