Das Zelt des Herrn


Arnd Kischkel , 5.1.02

Draußen stürmte und regnete es, auch das Donnern eines anrückenden Gewitters
war zu vernehmen. Ein Wanderer hatte seinen Kragen hochgeschlagen und seine
Mütze tief ins Gesicht gezogen. Er eilte durch die Dunkelheit entlang einer schwach
beleuchteten Straße und links und rechts konnte man schemenhaft die Umrisse
großer und vornehmer Häuser erkennen, die in diesem Viertel der Stadt besonders
zahlreich waren.

Der Mann bog plötzlich links ab und lief auf eines der eleganten Gebäude zu.
Mittlerweile prasselte der Regen und die Blitze erhellten oft sekundenlang den
ganzen Straßenzug. Der Mann lief ein paar Stufen empor und tastete an der Tür. Er
schien keine Klingel zu finden; denn schließlich klopfte er an der Tür und als sich
nicht gleich jemand zu rühren schien, schlug er richtig auf das massive Holz ein. Sein
Schlagen klang sehr hilfesuchend in dieser aufgewühlten Nacht.

Mit einem Mal hörte man hinter der Tür ein Scharren, ein älterer Herr öffnete und
sagte:

„Guten Abend, junger Mann! Ich habe schon auf sie gewartet. Den ganzen Abend
schon. Wenn Sie sich eher auf den Weg gemacht hätten, wären Sie schon vor dem
Unwetter hier gewesen. Aber ich freue mich, daß Sie da sind."

„Ich habe lange den genauen Weg suchen müssen. Wir wohnen genau im anderen
Teil der Stadt, ich mußte mich immer wieder orientieren," antwortete der junge Mann.
„Die Straßen, die zu ihrem Haus hinlaufen, schienen mir alle sehr schmal und eng zu
sein. Es war gar nicht so einfach, jeweils den Abzweig von den breiten
Ausfahrtsstraßen zu finden."

„Sie haben es geschafft", schmunzelte der alte Herr, und führte seinen Gast eine
Treppe empor, die ebenfalls eng zu sein schien. Oben angekommen stellte er ihm
zwei Angestellte des Hauses vor.

„Dies ist mein Verwalter ,Herr Luitpold, und dies ist Frau Söndgen, die in meinem
Haus ja so gewissermaßen das Mädchen für Alles ist. Stimmt es Frau Söndgen?"

Frau Söndgen schien mit dieser Rolle gut leben zu können; denn sie lächelte und
sagte:" Ja, ich helfe Herrn Atlas, hier den Überblick zu behalten. Das ist manchmal
gar nicht so einfach!" Jetzt lachten Herr Atlas und Frau Söndgen beide. Dann
runzelte Herr Atlas die Stirn.

„Wir könnten doch jetzt gemeinsam einen kleinen Gang durch unser Haus machen.
Dann lernt Herr Abner schon einmal alles kennen und kann sich einen Eindruck von
seiner neuen Wirkungsstätte verschaffen."

Gesagt, getan. Herr Atlas, Frau Söndgen und Herr Abner machten sich also auf den
Weg und begaben sich zunächst in einen großen Salon. In diesem schienen sich
häufig sehr viele Gäste aufzuhalten; denn er war sehr geräumig und an der Decke
hingen große Kronleuchter, die den Raum festlich und in hellem Licht erscheinen
ließen.

„Das wird natürlich ihr Hauptbetätigungsfeld sein, Herr Abner. Die Gäste, die sich
hier aufhalten, haben oft viel auf sich genommen, um die Gastfreundschaft in
unserem Hause zu erfahren. Und viele haben es sich verdient, in besonderer Weise
umsorgt zu werden, da sie sich sehr eingesetzt haben."

„Ich werde mir Mühe geben", sagte Herr Abner. „Ich wollte auch bei Ihnen
Angestellter sein, weil mir die Gäste, die sie aufnehmen, etwas bedeuten. Ich habe
gehört, daß die meisten von ihnen Kämpfer in einer Armee gewesen sind, die für
Gottes Sache in dieser Welt gerungen hat. Ich möchte ihnen gerne dienen und von
ihnen lernen."

„Das ist wunderbar, Herr Abner! Neulich hatten wir hier einen besonders verdienten
Kämpfer. Viele Jahre lang hatte er in Osteuropa unter jüdischen Mitbürgern
evangelisiert. Und war nun zu einem Heimataufenthalt hier. Er erzählte mir, daß in
ganz Osteuropa es immer leichter würde, Menschen zum Glauben einzuladen. Aber
er sagte auch, daß die Ablehnung der jüdischen Bewölkerung vor allem in Rußland
zunehme. Und daß nun sehr viel Gebet für die Juden dort wichtig wäre. Mittlerweile
ist er wieder zurückgekehrt."

Herr Atlas, Frau Söndgen und Herr Abner besichtigten noch die vielen schönen
anderen Räume des Hauses, so den Eßraum, die Schlafräume und auch ein kleines
Schwimmbad.

„Seit ich damit begonnen habe, für Mitarbeiter im Reich Gottes eine Herberge
einzurichten, ist die Nachfrage immer größer geworden. Es melden sich aus den
verschiedensten Nationen Gäste an, und ich bete dafür, daß Gott sie hier durch
seinen Heiligen Geist ganz neu erfrischt und sie in unserem Haus zu neuer Kraft
finden."

„Hat Ihr Haus auch einen Namen?", fragte Herr Abner. „Ich habe mich dies schon bei
meiner Bewerbung gefragt."

„Ja, unser Haus hat einen Namen, junger Mann! Kommen Sie einmal mit, Sie können
ihn selbst sehen."

Herr Atlas führte Herrn Abner vor die große Glastür, die zur Terasse hinausführte.
Beide blickten einen Moment lang in die Dunkelheit des Abends hinaus. Das
Unwetter hatte kaum nachgelassen. Abgebrochene Äste und Zweige lagen auf dem
Boden, und der Wind wirbelte Blätter und Staub empor.

„Hinausgehen können wir im Moment nicht", sagte Herr Atlas. „Der Sturm treibt
draußen sein Unwesen. Und er scheint noch mehr aufzukommen. Aber können Sie
da drüben das kleine Zelt stehen sehen?"

„Ja, seh ich, es muß enorm stabil sein, wenn es diesem Wind so standhält. Enorm
elastisch, und die Seile gut festgezogen." Abner staunte.

„Stimmt, und deshalb gibt dieses Zelt unserm Haus auch den Namen."

„Heißt es dann sicheres Zelt im Sturm?"

„Ja könnte man sagen. Aber wir haben es „Zelt des Herrn" genannt. Und wir glauben,
daß das auch ein Name, der für unser ganzes Land Deutschland in Zukunft
Bedeutung haben wird."

„Meinen Sie damit Herr Atlas, daß es mehr solche wetterfesten Zelte in Deutschland
braucht?"

„Ja, vieles spricht dafür,daß ein immer stärkeres Unwetter über unser Land kommen
wird und auch die Kirche dabei sehr durcheinanderkommen wird. Da brauchen wir
ganz unabhängige, elastische Zelte. Die können immer dort aufgeschlagen sein, wo
der Herr sie braucht."

„Ja, aber Sie empfangen die Mitarbeiter des Herrn hier doch selbst in einem
befestigten und vornehmen Haus!"

Das stimmt, aber dieses Haus hat seine Festigkeit aus dem Glauben heraus
gewonnen. Und außerdem haben wir es ja „Zelt des Herrn" genannt. So steht es
heute hier und vielleicht schlagen wir es morgen woanders auf."

Herr Atlas wandte sich wieder dem Salon zu. „Wenn Sie möchten, Herr Abner,
können Sie sich ihre Dienstkleidung nun schon anziehen. Gleich werden unsere
Gäste zum Abendessen erscheinen, und da könnten wir sie schon gebrauchen."

Gerne, Herr Atlas, aber noch eine Frage:"Wenn wirklich dieser große Sturm über
Deutschland hereinbrechen sollte, worauf wird es dann in der Kirche ankommen?"

„Gut, daß sie dies noch fragen; denn unser Haus hier hat da auch eine prophetische
Bedeutung. Wenn der Sturm zunehmen wir, dann wird es in der Kirche in
Deutschland darauf ankommen, daß viele solcher Zelte für die Kinder Gottes
errichtet sind, in denen sie die Gegenwart des Herr im Wind und in seiner Kraft
erfahren können. Nur die, die sich in diese Zelte durchschlagen, werden diesen
Sturm wirklich gut überstehen können. In ihnen wird der Herr seine Kirche in diesem
Land erneuern."