Weihnachten in den Bergen



von Arnd Kischkel

Der Hof in den Bergen



Ein älterer Mann hatte Zeit seines Lebens in den Bergen einen kleinen Hof bewirtschaftet. Als die Kräfte nachließen und er sich zur Ruhe setzen wollte, konnte er sich nicht überwinden, ins Tal in die Stadt zu ziehen. Solange es irgendwie ging, wollte er auf seinem Hof bleiben. Die Kinder hatten sich längst an anderen Orten selbständig gemacht und seine Frau war vor einigen Jahren verstorben.

Der alte Mann hatte eine besondere Gabe. Immer wenn im Sommer Wanderer und Gäste in die Berge kamen, die er vereinzelt bewirtete, dann sprach er mit ihnen über wichtige Lebensfragen. Er konnte gut zuhören und schon manch einer, der so bei ihm eingekehrt war, fragte sich beim Abstieg: „Warum war ich heute so offen, ich habe ihm fast meine ganze Lebensgeschichte erzählt. Aber jetzt geht's mir irgendwie gut."

Hinter dem Hof des alten Mannes lag ein wunderschöner Garten, den er sehr liebte und mit dem er stets pfleglich umging. Im Herbst, wenn sich die ersten Blätter der Bäume verfärbten, trug er von allen Früchten, die herangewachsen waren, etwas in die nahe gelegene Kirche. Es war für ihn nicht selbstverständlich, dass er all dies hatte ernten dürfen, er dankte dafür Gott und sprach mit anderen über seine Freude.

Der Winter setzte ihm schon zu, wenn Schneeverwehungen ein ums andere Mal die Wege unpassierbar machten. Die Kinder schauten zwar nach ihm und auch die Nachbarn halfen aus, aber der alte Mann sehnte sich nach dem Frühling, wenn sein Garten zu neuem Leben erwachte und auch die Gäste wieder kamen, für die er ein offenes Ohr hatte.

Im Advent

An einem Adventssonntag kurz vor Weihnachten hielt ein Auto vor dem Hof des alten Mannes. Heraus stieg eine elegant gekleidete Dame und ein kleiner Junge. Sie schienen nicht aus der Gegend zu stammen, aber recht zielsicher läuteten sie an der Tür des alten Hofbauern, der auch sogleich öffnete.

Der Junge sagte artig guten Tag und die vornehme Dame bat darum, herein kommen zu dürfen. Sie habe eine Frage, der alte Mann habe sie im letzten Sommer während einer Rast so gut beraten.

„Sehen Sie, Weihnachten steht vor der Tür, und es gibt niemanden, mit dem mein Sohn und ich in diesem Jahr den Heiligen Abend verbringen könnten. Mein Mann hat sich in diesem Jahr von mir getrennt und zur weiteren Verwandtschaft möchte ich derzeit nicht. Sie stellen so viele unangenehme Fragen. Aber wenn wir zwei Weihnachten allein da sitzen, dann kommt der ganze Schmerz wieder hoch, dass der Papa nicht mehr da ist."

Der Hofbauer hätte am liebsten den Arm um die junge Frau gelegt, die mit feuchten Augen dasaß, aber er begnügte sich damit, einen Kaffee aufzugießen, dann setzte er sich zu den beiden. In seiner Hand hielt er ein Gesangbuch, das er nach dem morgendlichen Gottesdienst abgelegt hatte.

„Heute morgen haben wir ein Lied in der Kirche gesungen, dass mir noch nachgeht. Sehn sie hier, es ist von Zinzendorf, ´Jesu, geh voran´. Darf ich es mal vorsingen?" Leise sang der Bauer:

„Jesu, geh voran auf der Lebensbahn!
Und wir wollen nicht verweilen, dir getreulich nachzueilen;
führ uns an der Hand bis ins Vaterland.

Soll´s uns hart ergehn, lass uns feste stehn
und auch in den schwersten Tagen niemals über Lasten klagen;
denn durch Trübsal hier geht der Weg zu dir.

Rühret eigner Schmerz irgend unser Herz,
kümmert uns ein fremdes Leiden, o so gib Geduld zu beiden;
richte unsern Sinn auf das Ende hin.

Ordne unsern Gang, Jesu lebenslang.
Führst du uns durch raue Wege,
gib uns auch die nöt´ge Pflege;
tu uns nach dem Lauf deine Türe auf."

Während der alte Mann so sang, hatte der Junge plötzlich etwas entdeckt. In der Ecke des Zimmers stand ein Schaukelstuhl. Er sprang hinein und fing an zu schaukeln. Außerdem schnappte er sich einige Walnüsse und fing mit ihnen zu jonglieren an, was allerdings nicht ganz gelang. Sie fielen zu Boden, wo der Junge sie dann wie kleine Bälle durch den Raum kullern ließ.

Die Einladung

„Meinen Sie, dass Jesus auch mir und meinem Sohn jetzt vorangeht?" fragte die Frau den alten Mann. „Ich kenne mich mit dem Glauben noch nicht so aus. Aber das Lied spricht von Geduld, ja die kann ich wirklich gut gebrauchen."

Der alte Mann führte die Frau und den Jungen daraufhin in seinen Garten. Um diese Jahreszeit gab es dort zwar kaum neu Gereiftes, aber der Bauer erklärte genau, was auf den Beeten alles wuchs und was er neu aussäen würde.

„Kommen Sie doch zum Weihnachtsfest ein paar Tage auf meinen Hof! Es kommt in diesem Jahr nur wenig Besuch, so wäre es auch für mich eine Abwechslung und sie können ein wenig entspannen."

Die junge Frau zögerte nicht lange, die Einladung anzunehmen. Am Heiligen Abend reiste sie mit ihrem Sohn an. Zusammen mit dem Bauer gingen sie schließlich zur Christvesper den Hügel hinauf zur Kirche. Die Glocken läuteten hell und klar und der Altarraum war geschmückt mit Kerzen. Auch eine große Krippe stand dort.

Der Pfarrer zeigte sich auf die angereisten Gäste im Gottesdienst bestens vorbereitet. Er rief die Kinder nach vorne und jedes erhielt einen kleinen Strohstern, eine Süßigkeit und einen Zettel mit einem Wort aus der Bibel. Der Junge kam strahlend zurück in seine Bank. Den Zettel mit dem Wort schenkte er seiner Mutter.

Auf ihm stand nach Johannes 1,9: „Jesus ist das wahre Licht, das alle Menschen erleuchtet, die in diese Welt kommen." Als die junge Frau dies las merkte sie, dass Gott sie ganz persönlich ansprach. Sie schaute in das Licht der Kerzen auf dem Altar und konnte sich mit einem Mal freuen und Ja sagen zu diesem Weihnachtsfest.