Eine Verfassung



Arnd Kischkel, 11.6.05

Vor kurzem las ich noch einmal die Präambel der europäischen Verfassung, deren Ratifizierungsprozess mittlerweile in Frankreich und Holland aufgrund von Referenden der Bevölkerung ins Stocken geraten ist. Die Präambel beginnt folgendermaßen:

„Schöpfend aus dem kulturellen, religiösen und humanistischen Erbe Europas, aus dem sich die unverletzlichen und unveräußerlichen Rechte des Menschen sowie Freiheit, Demokratie, Gleichheit und Rechtsstaatlichkeit als universelle Werte entwickelt haben,

In der Überzeugung, dass ein nach schmerzlichen Erfahrungen nunmehr geeintes Europa auf dem Weg der Zivilisation, des Fortschritts und des Wohlstands zum Wohl aller seiner Bewohner, auch der Schwächsten und der Ärmsten, weiter voranschreiten will, dass es ein Kontinent bleiben will, der offen ist für Kultur, Wissen und sozialen Fortschritt, dass es Demokratie und Transparenz als Grundlage seines öffentlichen Lebens stärken und auf Frieden, Gerechtigkeit und Solidarität in der Welt hinwirken will,....“

Als ich diese Worte las, hatte ich den Eindruck, dass der Heilige Geist mir ein großes Boot zeigte, das für die europäische Union stand. Viele Menschen und gerade auch die politisch Verantwortlichen bemühten sich um dieses Schiff. Sie alle wollten es flott machen und mit dem Besten ausstatten, was ihnen zur Verfügung stand. Sie waren dabei so eifrig, dass sie versuchten, sich regelrecht dabei zu übertreffen.

Nach einer grundlegenden Überholung und Erneuerung wollten sie das Schiff erneut aus der Werft in die offene See entlassen, wo es noch kraftvoller, erfolgreicher und wendiger dem Meer trotzen sollte.

Dazu wurde ich erinnert an Jesaja 28, 4-6: „Und die welke Blume ihrer lieblichen Herrlichkeit, die da prangt hoch über dem fetten Tal, wird sein wie eine Frühfeige vor dem Sommer, die einer erspäht und flugs aus der Hand verschlingt.
Zu der Zeit wird der Herr Zebaoth eine liebliche Krone sein und ein herrlicher Kranz für die Übriggebliebenen seines Volks und ein Geist des Rechts für den, der zu Gericht sitzt, und eine Kraft denen, die den Kampf zurücktreiben zum Tor.“

Bei denen, die sich für die Ratifizierung einsetzten, konnte ich sehen, wie sie sich zunehmend begannen, im Kreis zu drehen. Irgendwie schien ihrem Tun der Segen verwehrt zu sein. Die Gaben, die jede Nation zur Gemeinschaft beitragen sollte, wirkten eher wie ein Soll, das es zu begleichen gilt, aber nicht wie eine Gabe, die Gott die Ehre gibt für eine Verbundenheit von Nationen, die er nun segnen möchte.

Der unfruchtbare Weinberg

Die neue Verfassung wirkte eher wie ein Mittel zum Zweck, das die eigenen Interessen noch mehr fördern und den Einfluss gegenüber anderen Kontinenten stärken sollte.

Dazu bekam ich Jesaja 5, 1-7, das Lied vom unfruchtbaren Weinberg:

„Wohlan, ich will meinem lieben Freunde singen, ein Lied von meinem Freund und seinem Weinberg.
Mein Freund hatte einen Weinberg auf einer fetten Höhe. Und er grub ihn um und entsteinte ihn und pflanzte darin edle Reben. Er baute auch einen Turm darin und grub eine Kelter und wartete darauf, dass er gute Trauben brächte; aber er brachte schlechte. Nun richtet, ihr Bürger zu Jerusalem und ihr Männer Judas, zwischen mir und meinem Weinberg!
Was sollte man noch mehr tun an meinem Weinberg, das ich nicht getan habe an ihm? Warum hat er denn schlechte Trauben gebracht, während ich darauf wartete, dass er gute brächte?
Wohlan, ich will euch zeigen, was ich mit meinem Weinberg tun will! Sein Zaun soll weggenommen werden, dass er verwüstet werde, und seine Mauer soll eingerissen werden, dass er zertreten werde.
Ich will ihn wüst liegen lassen, dass er nicht beschnitten noch gehackt werde, sondern Disteln und Dornen darauf wachsen, und will den Wolken gebieten, dass sie nicht darauf regnen.
Des Herrn Zebaoth Weinberg aber ist das Haus Israel und die Männer Judas seine Pflanzung, an der sein Herz hing. Er wartete auf Rechtsspruch, siehe, da war Rechtsbruch, auf Gerechtigkeit, siehe, da war Geschrei über Schlechtigkeit.“

Geistlich gesehen ist Europa wohl in weiten Teilen der unfruchtbare Weinberg, den Gott eine längere Zeit zunehmend sich selbst überlassen wird. Zäune und Mauern sollen eingerissen werden, also genau das, wodurch der alte Kontinent zunehmend seinen Halt und Schutz befestigte.

Gerechte werden aufstehen

Zum Erbe der Reformation gehörte es, das viele Bilder und Kunstgegenstände aus den Kirchen verschwanden. Zum Erbe der immer mehr von Säkularisierung und Humanismus geprägten Epoche in Europa wird jedoch ein Verfall von Kreativität und Kultur, von Bildung und sozialer Gerechtigkeit gehören. Und dies, weil das Wort Gottes, das Luther in unserem Land zu neuen Ehren brachte, zunehmend geleugnet und missachtet wird.

Schließlich hatte ich einen Eindruck von Engeln, die vielen Menschen in unserem Land – auch Verantwortlichen – reine weiße Kleider anlegen. Und es wurde mir deutlich, dass Gerechte in unserem Land aufstehen werden, die eine starke Berufung vom Herrn haben werden. Sie werden die Führer sein, die unser Land so sehr braucht. Sie werden die sein, die wie Abraham und Mose um unser Volk ringen werden. Es werden Frauen und Männer sein, die von Mitgefühl und Hingabe geprägt sein werden und die ein Herz für die armen Nationen haben werden.

Dann sah ich mit einem Mal die Landkarte Europas vor mir. Die Menschen schienen von immer größerer Unruhe erfasst zu sein. Zunehmende Bewegung und Nervosität war zu erkennen. Hilflose Parolen trafen auf offene Rebellion und immer mehr falsche Hirten waren zu erkennen. Aber helle Strahlen von Licht durchbrachen an den verschiedensten Stellen die Dunkelheit. Die Gemeinde wird aufstehen und immer größere Autorität gewinnen.

Die europäische Verfassung erscheint mir von daher wie ein Gebilde auf tönenden Füßen. Sie wird als hoher Wert vorgestellt und verwirft doch biblische Werte, sie suggeriert Einheit und wird doch Auflösung produzieren.

Der europäische Einigungsprozess hat auch durch die Einbindung östlicher Nachbarn eine Reihe positiver Auswirkungen und Ergebnisse, aber wenn wir für Europa beten, sollten wir versuchen, eine geistliche Perspektive zu gewinnen:

-in Europa sollen noch einmal viele Menschen gerettet werden. Dazu gehört, dass sie sich demütigen und die eigenen Vorzüge vor dem Herrn niederlegen.

-die Nationen in Europa sollen noch einmal mehr in ihre eigentliche Berufung und Bestimmung kommen. Darum kommt der Vielfalt in der Einheit besonderes Gewicht zu.

-die Gaben, die dem Kontinent anvertraut sind, sollen in der Verantwortung gegenüber Schwächeren und Ärmeren noch einmal in einen besonderen Dienst genommen werden. Das heißt auch, dass sich z.B. die Beziehungen nach Osteuropa, Israel und Afrika vertiefen.