Die Weisen aus dem Morgenland

Dreikönigstag



Eine Geschichte zum Dreikönigstag

Arnd Kischkel


Als Jesus in Bethlehem geboren worden war, da ritten drei Fremde von Osten her durch ein Stadttor Jerusalems. Sie erregten nicht viel Aufsehen, da gerade ein Gaukler auf der Straße zu sehen war, der vor einer größeren Versammlung mit ironischer Akrobatik einen Handstand nach dem anderen vollführte.

Melchior sprang als erster von seinem Kamel, eilte mitten durch die Menge und rief, als der Gaukler wieder einmal auf seinen Händen stand: „Hört, könnt ihr uns sagen, wo euer König ist? Weit sind wir seinem Stern gefolgt, um ihm die Ehre zu geben!“

Der Gaukler knickte auf seinen Armen ein, als wenn diese plötzlich morsch und brüchig geworden wären. Dann schob er sich zwischen die Menge und Melchior, gebannt suchte er mit flackernden Augen am Firmament. Es war eine wolkenlose, klare Nacht, und es funkelten all die kleinen Sonnen wie wetteifernd über der Stadt.

Die raue Stimme eines hinzugekommenen Rabbi ließ sich vernehmen: „Wendet euren Blick nach oben, die ihr Gott sucht, und tut eure Augen auf! Wer hat all das geschaffen? Er führt das Heer der Sterne über den Himmel und ruft sie alle mit Namen. Nicht einer von ihnen geht ihm verloren.“ (Jesaja 40,26)

Kasper und Balthasar führten die Kamele gerade zu aufgehängten Futterbeuteln, die sie vor hungrigem Eifer mit dem Heu fast hinunterrissen. Balthasar kramte in der Satteltasche und zog eine Lampe hervor. Mit einem kleinen Holzscheit entzündete er sie, trat zu dem Rabbi und hob das Licht vor aller Augen in die Höhe.

„Seht einmal, die Steine und Perlen! Mit den Diamanten des Orients ist sie bestückt. Und, hier, die Farben spiegeln etwas vom Charakter Arabiens. In diesen fein verästelten Mustern liegt die Würde Persiens, und in der wuchtigen Halterung findet sich die Kraft des alten Babyloniens! Wer würde meinen, dass dieser prächtigen Lampe noch irgend etwas fehlt?“

Herausfordernd drehte sich Balthasar mit dem bezaubernden Licht vor der staunenden Menge. Schließlich erhellte es das Gesicht des Rabbi, dessen Stirn in nachdenklichen Falten lag.

„Ihre Schönheit ist vergeblich, wenn nicht der Gott Israels sie segnet. Es brennt nur menschlicher Stolz in ihr. Löscht ihr Feuer und bringt sie zum Priester in den Tempel! Mag er diese Lampe weihen, dass sie dort zur Ehre des Herrn erstrahle.“

Balthasar folgte gehorsam der Anweisung des Rabbi: Er löschte behutsam den lodernden Docht, die Lampe hielt er jedoch weiter erhoben.

„Als ich den Stern eines neu geborenen Königs sah, da wurde ich von Liebe zu ihm ergriffen, und ich nahm mir vor, ihm ein Kunstwerk unseres Landes zu schenken. Bei dieser Lampe war es gleich mein erster Gedanke: Nicht mehr das Licht der Meder und Perser soll in ihr brennen, sondern die Wärme und Kraft dieses errettenden Königs soll sich in ihr entfalten. Er allein kann ihr den wahren Glanz verleihen.“

Bei diesen Worten ging ein Murren durch die Menge. „Du hast sie ja eben selbst entzündet! - Und wie er sie gepriesen hat! - Herodes wird ihm schon heimleuchten!“

In der Dunkelheit war ein feines Lächeln Balthasars kaum zu sehen. “Ich nahm mir vor, dass ich die Lampe nur in einem einzigen Fall noch einmal selbst entzünden würde", erwiderte er.

„Wenn es in diesem Volk“, sagte ich mir, „über dem der Stern der Gnade aufgegangen ist , noch irgend jemanden gibt, der ihn nicht wahrgenommen hat, dann will ich vor ihnen selbst noch einmal die Lampe anzünden und rufen: Mir ist ein Licht aufgegangen! Unter euch ist der angekommen, der die Erlösung in die Herzen gibt. Kommt mit, wir sind unterwegs zu ihm!"

Der Gaukler war mit einem Mal wieder lebendig geworden. Er rief: „Es lebe der König!“ Mit einer geschickten Handbewegung riss er die Lampe an sich, und begann vor den atemlosen Juden zu zündeln. Plötzlich stieß er einen Schrei aus; er hatte sich am noch glimmenden Docht verbrannt. Vom Himmel her erfasste ihn Helligkeit, die Lampe drohte im Fallen auseinander zu brechen.

Nach einer Audienz bei Herodes ritten Kasper, Melchior und Balthasar aus der Stadt, einige Leute folgten ihnen. Der Gaukler lief jubelnd vor ihnen her, die Arme reckte er zum Stern von Bethlehem. Im Schein einer hellen orientalischen Lampe spielte er später vor einem Stall auf der Flöte.