Weg der russischen Juden


Arnd Kischkel, 7.8.02

Ich hätte den Eindruck, auf einem Flur zu stehen. Es sah aus, wie in einem städtischen Amt einer größeren Stadt. Türen wurden aufgerissen und Menschen traten heraus, andere saßen in langen Reihen auf dem Gang und warteten. Immer wenn sich eine Tür öffnete, konnte man in gedrückte Gesichter schauen, die Enttäuschung war den meisten abzuspüren.

In der langen Schlange von Menschen, die auf den Bänken vor den Büros saßen,
erkannte ich jüdische Bürgerinnen und Bürger, und sie alle hielten Anträge in der Hand, in denen Sie Ihre Ausreise aus Rußland durchsetzen wollten. Aber die allermeisten von ihnen schienen abgewiesen zu werden und dennoch kamen mehr und mehr. Sie alle wollten noch auf legalem Weg Rußland verlassen.

Der Ton, der in diesen Amtsstuben in Moskau zu herrschen schien, erinnerte an schlimme Zeiten in Europa und keiner hätte es für möglich gehalten, daß dieser Geist noch einmal dieses große Land bestimmen könnte.

Mit einem Mal stand ich auf der Straße vor dem russischen Parlament. Man konnte bis nach draußen alles hören, was dort gesprochen wurde. Ich hörte Stimmen von Abgeordneten, die sich gegenseitig anklagten. Die eine Seite behauptete, daß Rußland wieder eine Großmacht werden müsse und daß dazu die Grenzen verriegelt, die Bevölkerung kontrolliert und Ausländer eingeschüchtert werden müßten. Und von den Juden wurde gesagt, daß sie Feinde der russischen Nation seien, und es wurde damit begonnen, einige, die sich hervorgetan hatten, in Arbeitslager zu schicken. Es gab eine andere Gruppe von Abgeordneten, die sprachen vorsichtiger, aber sie konnten sich immer weniger Gehör verschaffen.

Mit der Zeit sah ich auf den Straßen in Moskau immer mehr Polizei auftreten, die willkürlich und mit Gewalt gegen Demonstranten vorgingen, die sich gegen diese neue Entwicklung in Rußland wandten. Unter ihnen sah ich auch viele Christen, die zu einer großen Schar in dieser Nation angewachsen waren. Es schien, als wenn diese Gläubigen ein Banner hochhielten und gleichzeitig ein Schwert in ihre Hand gegeben war. Auf dem Banner war das Lamm Gottes zu erkennen, wie es über die Sünde triumphierte, und dieses Banner hielt die russischen Kirche über das Land. Und dieses Zeichen führte dazu, daß die russischen Schergen die jüdische Minderheit zwar drangsalierten und in Schwierigkeiten brachten. Aber irgendwie schienen sie mit ihren Maßnahmen immer nur wieder die Kinder Israel dazu zu bringen, sich aufzumachen und das Land zu verlassen.

Das Schwert des Geistes, welches für das Wort Gottes steht, führte die russische Kirche mit großer Vollmacht. Da sie kontrolliert wurde, konnte sie die verfolgten Menschen nicht selbst aufnehmen und längerfristig beherbergen. Aber die russischen Christen schienen an Israel hingegeben und sie beteten den Weg frei, auf dem die Juden zusammen mit anderen ausgegrenzten Menschen das Land verließen. Das war ein ungewöhnlicher Exodus, die Juden reisten in die verschiedenen Himmelsrichtungen, die meisten nach Westeuropa, viele nach Süden und einige nach Osten.

Auf diesem Zug schien ein besonderer Segen zu liegen und die Liebe, die den Ausreisenden in Deutschland und in anderen Nationen entgegengebracht wurde, weckte in vielen Gemeinden neu die Zuneigung für das jüdische Volk. Und viele Christen in Deutschland durften ein Zeichen der Wiedergutmachung gegenüber Juden setzen.