Geschenke am See Genezareth


Eine Erzählung

- Arnd Kischkel

In den Tagen, als Jesus am See Genezareth mit seinen Jüngern unterwegs war, entdeckten sie mit einem mal ein größeres Schiff, das in der Ferne auf dem Wasser vorüberfuhr. Nachdem sie den Tag über schon einen weiten Weg hinter sich hatten, waren die Jünger müde und ließen sich am Ufer nieder. Und so betrachteten sie das vorüberfahrende Schiff, das mit vielen Gütern beladen zu sein schien.

Die Männer an Bord mussten mit aller Kraft rudern, um das schwere Boot voranzubringen, aber sie waren ganz konzentriert. Sie legten sich so richtig ins Zeug, um an diesem Abend ihr Ziel am Ufer noch zu erreichen. Was für eine wichtige Ladung sie wohl an Bord hatten? Nur selten konnte man auf dem See Genezareth ein Schiff beobachten, dass eine solch schwere Ladung transportierte.

Die Jünger waren an diesem Abend gut aufgelegt. Sie machten einige Scherze miteinander, und jeder rätselte so vor sich hin, was denn wohl die geheimnisvolle Fracht dieses Schiffes sein mochte.

Jakobus meinte: "In diesem Schiff befindet sich sicher Gerät für den Garten und für den Ackerbau." Matthäus sagte: "Ich glaube, da fährt jemand seinen ganzen Hausstand über den See." "Ja es scheint so: Da zieht jemand um und nimmt für den Transport den kürzesten Weg über den See," sagte Johannes.

"Was würdet ihr denn sagen", entgegnete Jesus, der den Jüngern zugehört hatte, "wenn ich dieses Schiff bestellt hätte? Könnte es nicht sein, dass ich seine Ladung dringend benötigen würde?"

Die Jünger schauten Jesus erstaunt an. Und Petrus protestierte: "Aber Herr, du hast doch selbst gesagt: "Der Menschensohn hat nichts, wo er sein Haupt hinlege."

"Das ist schon richtig, Simon, aber ich habe jemanden beauftragt, dieses Schiff hierher zu bringen. Denn ich habe für mein Volk viele Geschenke vorbereitet. Und für dich selbst ist auch etwas dabei."

Nun wurden die Jünger immer neugieriger. Längst waren sie aufgestanden und ermunterten durch Zurufe die Ruderer auf dem Schiff. Einige winkten ihnen von dem nahe gelegenen Anleger zu. Plötzlich konnten sie erkennen, dass ein kleines Beiboot heruntergelassen wurde. Sorgfältig wurden einige Pakete und Gegenstände vom Deck heruntergelassen und schließlich sah man drei Leute, die in das kleine Boot stiegen. Vorsichtig begannen sie, es zum Ufer hin zu steuern, dorthin, wo Jesus und die Jünger rasteten.

Die Jünger standen nun alle erwartungsvoll am Ufer. Es war ja ganz klar, dass die Leute vom Schiff ihnen etwas bringen wollten. Denn in der Umgebung des Anlegers wohnte zu dieser Zeit niemand mehr. Immer unruhiger schien das Wasser des Sees zu werden, ein aufkommender Wind schnitt große Furchen in die zuvor spiegelglatte Oberfläche. Und so schaukelte das Boot beträchtlich, bevor es von den Männern an Bord am Anleger festgemacht werden konnte.

Erstaunlich war, dass die Leute in dem Boot Jesus zu kennen schienen. Auch folgten sie nun genau seinen Anweisungen, als er ihnen erklärte, wo sie die Pakete für die Jünger am Ufer abstellen sollten. Als die Männer wieder gegangen waren und sie im Dunkel der Abenddämmerung auf dem See schon nicht mehr zu sehen waren, machten die Jünger zunächst ein Feuer. Es gab etwas zu essen und schließlich saß Jesus mit seinen Jüngern rund um das Feuer und die geheimnisvollen Pakete lagen nicht weit von ihm und sie strahlten im Licht der lodernden Flammen . Jedem, der auf sie sah, schienen sie entgegenzuleuchten.


Die passende Ausrüstung

Kurz darauf nahm Jesus ein Holzscheit, das nicht weit von ihm lag, und warf es in die Flammen. Funken stoben und die Flamme des Feuers wand sich und schlug hoch in den Abendhimmel empor. Dann sagte er:

"Wißt ihr, warum diese Pakete heute hierher gebracht wurden? Nein? Ihr Inhalt soll aber bereits morgen eingesetzt und ausprobiert werden. Es ist deshalb heute Abend wichtig, dass jeder von euch sein Paket sorgfältig auspackt, und sich mit dem Inhalt vertraut macht. Ich möchte euch aber zuvor noch etwas fragen. Habt ihr eigentlich damit gerechnet, dass ich euch beschenken möchte und dies für euch vorbereitet habe?

"Wir haben schon so viel von dir über das Reich Gottes erfahren, Herr. Wie könntest du uns noch mehr geben? sagte Jakobus. "Du hast so viele geheilt und ihnen Versöhnung mit Gott geschenkt. Wie könntest du noch mehr tun?" antwortete Johannes. "Ja, und du hast uns immer wieder ermutigt, du hast uns im wahren Glauben gestärkt. Dafür bin ich so dankbar", entgegnete Simon Petrus.

Jesus nahm ein weiteres Stück Holz und warf es ins Feuer. Diesmal schlug die Flamme noch höher und es wurde den Jüngern warm, die sich nahe heran gesetzt hatten.

"Das Leben, das ihr im Moment lebt, ist doch eigentlich recht sonderbar", sagte Jesus. "Ihr habt teilweise eure Familien zurückgelassen, euren Beruf und euer Zuhause. Und jetzt sitzt ihr hier abends mit mir am See und habt erkannt, was Gott in dieser Stunde in Israel und in der Welt tut. Und darum möchte ich euch beschenken, es ist mein Dank für eure Nachfolge.

Jetzt nahm Jesus das erste Paket und stellte es vor sich hin. "Dies hier ist für dich, Jakobus, mein Bruder", sagte er. "Ich habe für dich die Gabe der Lehre. Als Zeichen dafür möchte ich dir einen Zeigestab schenken. Hier, du kannst ihn selbst auspacken. Lehre mein Volk über den Glauben und die guten Werke und wie sie für Kranke beten können.

Und hier Johannes, dies ist für dich. Du hast dich in der letzten Zeit immer wieder besonders zu mir gehalten und hast versucht, das Geheimnis meiner Gegenwart zu ergründen. Für dich habe ich einen Hirtenstab, denn auch du sollst meine Schafe weiden. Gebrauche deine Fähigkeiten, Menschen zu mir zu führen, ich möchte dich darin segnen.

Und für dich, Matthäus, habe ich dieses Schwert hier. Es ist ein Zeichen für mein Wort, das wie ein zweischneidiges Schwert Seele und Geist durchdringt und das, was in den Herzen der Menschen ist, bloßlegt und offenbart. Du darfst mein Wort verkündigen und viele werden zum Glauben kommen."

Aus einem weiteren Paket zog Jesus daraufhin einen größeren Rucksack. Diesen überreichte er Petrus. "Simon, du hast die Gabe, für etwas, was dich begeistert, loszuziehen. Durch dich möchte ich viele Menschen erreichen und Zeichen und Wunder sollen geschehen."

Für jeden der Jünger hatte Jesus an diesem Abend ein Geschenk zu verteilen, und am Schluss staunten alle, wie gut jedes einzelne zur jeweiligen Person passte. Und es machte sich Ausgelassenheit und Freude rund um das Feuer breit. Johannes schwang seinen Stab und rief laut in die Nacht. Matthäus fuchtelte mit dem Schwert im dunklen Abendhimmel und Petrus staunte, was alles in den Rucksack passte. Er probierte immer wieder, ihn möglichst voll zu beladen.


Menschen finden zu Jesus

Schließlich überfiel alle die Müdigkeit und sie schliefen am Feuer ein, bis die Morgendämmerung ein erstes reines Licht über dem See ausbreitete. Da stand Jesus als erster auf, um zu beten und Zeit mit dem Vater zu verbringen. Und er segnete seine Jünger und bat den Vater im Himmel, die Gaben nun unter den Jüngern freizusetzen. Nun war die Zeit gekommen, dass sie nicht mehr nur auf ihn schauten, sondern sich aufmachten, ihre eigenen Möglichkeiten zu erkennen und auszuüben.

Als Jesus dieses Anliegen am Seeufer betete, kam plötzlich wieder ein stärkerer Wind auf, und es war so, als wenn Gott durch ihn antwortete und ein Zeichen der Ermutigung gab, sich ganz auf seine Kraft zu verlassen. Schließlich wachten auch die Jünger auf und machten sich bereit, ihren Weg fortzusetzen. Jeder von ihnen nahm schließlich auch sein Geschenk vom Vorabend an sich und während sie schon unterwegs waren, unterhielten sie sich darüber, wer von ihnen es wohl am ehesten so richtig einsetzen würde.

Nachdem sie eine Zeit gelaufen waren, gelangten sie an eine größere Straße, die nach Nazareth führte. Auf ihr waren viele Menschen unterwegs, die es eilig hatten. Die meisten achteten nicht auf Jesus und die Jünger.

Mit einem Mal aber gerieten einige Leute in Streit miteinander. Sie gestikulierten mit den Händen und fuchtelten herum, als wollten sie sich gegenseitig vom Weg abbringen. Jeder schien genau zu wissen, wie der andere sich besser verhalten hätte. Dabei schien es sich nur um ein Ausweichmanöver zu handeln, zu dem ein besonders breiter Karren einen entgegenkommenden Händler gezwungen hatte.

Jetzt erinnerte sich Matthäus an das Schwert, das er am Vorabend erhalten hatte. Und mutig trat er zwischen die Streithähne und zitierte ein Wort, das er Jesus einmal hatte sagen hören:

"Hört auf, euch gegenseitig zu richten. Denn nach welchem Maßstab ihr richtet, werdet ihr auch gerichtet werden; und so wie ihr messt, werdet ihr auch gemessen werden. Warum schaust du denn auf den Splitter im Auge deines Bruders und siehst nicht den Balken in deinem Auge? Oder wie kannst du zu ihm sagen: Halt, ich will dir den Splitter aus deinem Auge ziehen?, und dabei hast du einen Balken in deinem eigenen Auge. Du Heuchler, zieh doch zuerst den Balken aus deinem Auge; danach sieh zu, wie du den Splitter aus deines Bruders Auge ziehst." (vgl. Matth. 7,1-5)

Als die beiden Streitenden diese Worte hörten, wunderten sie sich sehr. Sie ließen voneinander ab und einer von ihnen sagte: "Wie kommst du darauf, so zu sprechen?"

Matthäus antwortete: "Jesus, dem wir folgen und den wir für den Sohn Gottes halten, hat es uns gelehrt." "Führe mich zu ihm!", entgegnete der Mann und schon standen die beiden vor Jesus, der sie schon die ganze Zeit beobachtet hatte.

Jesus blickte auf zum Himmel, dann lächelte er. "Mein Freund, mein himmlischer Vater sieht gerade auf dich, und er hat dich sehr sehr lieb." Dem Mann traten Tränen in die Augen. Mit einem Mal spürte er, dass ein Mangel an Liebe und innerer Geborgenheit ihn immer wieder streiten ließ. Und er kniete vor Jesus nieder und nahm ihn als Herrn an.

Kurze Zeit später verdunkelte sich der Himmel und Regenwolken zogen herauf. Dann strömte das Wasser regelrecht vom Himmel und alle, die auf der Straße unterwegs waren, beeilten sich, einen Unterstand zu finden. Jesus und die Jünger klopften schließlich an der Tür eines nahe gelegenen einfachen Hauses. Eine ältere Frau öffnete ihnen.

Sie war sehr überrascht, so viele junge Männer vor sich zu sehen. Aber sie ließ alle herein und reichte ihnen etwas zu essen und zu trinken. Dann erzählte sie von einer Begebenheit, die ihr vor einigen Tagen widerfahren war:

"Ihr müsst wissen, dass ich hier relativ einsam wohne. Mein Mann ist bereits vor einigen Jahren verstorben und meine Kinder leben und arbeiten in Nazareth. Als ich am letzten Freitag morgens aus dem Haus ging, überraschte mich ein Nachbar von mir. Er bebaut etwas Land hier und brachte mir einfach einiges von der Ernte. Er hatte alles auf einem kleinen Wagen dabei vor meinem Haus. Und ich hab die Sachen bestaunt und gesagt: Was, das soll alles für mich sein?

Aber dann haben wir es ausgeladen und in den Vorratskeller gebracht. Und ich habe gesehen, das es genau das ist, was ich für die nächsten Monate gebrauchen kann. Und ich hab mich so gefreut, dass ich meinen Nachbarn hätte umarmen können."

Als die Frau dies erzählte, schaute Johannes auf seinen Hirtenstab und spürte, dass er sie vielleicht jetzt für das Reich Gottes gewinnen könne. So nahm er seinen Stab, der zuvor an der Wand gelehnt hatte, und trat mit ihm vor die Frau.

"Wenn dein Nachbar dich so gut versorgt und an dich gedacht hat, so gibt es jemanden, der dies zu jeder Zeit tun möchte. Er ist wie ein Hirte, der sich um jedes seiner Schafe kümmert und darauf achtet, dass ihm nie etwas fehlt. Möchtest du ihn kennen lernen?

Die Frau wirkte verblüfft, dann blickte sie einen Moment lang aus dem Fenster. Hinter einem Baum, der direkt vor ihrem Haus stand, sah sie Jesus stehen. Er schien dort ein wenig Ruhe zu suchen und hatte sich den schattigen Platz in der Nähe des Baumes ausgesucht. Er strahlte einen großen Frieden aus.

"Meinst du ihn? fragte die Frau. Ich habe schon von jemandem gehört, der mit Jüngern unterwegs ist, der das Reich Gottes verkündigt und Wunder tut. Seid ihr das etwa? Und ist das Jesus?

"Ja, das ist Jesus!" lachte Johannes. ", ich bringe dich zu ihm. Du wirst von ihm begeistert sein." Und schon ging die Frau mit Johannes in den Garten und lange konnte man sie mit Jesus sprechen sehen. Und als die Jünger wieder aufbrachen, da war auch sie zu einer Jüngerin geworden.


In Nazareth

In Nazareth war gerade Markttag, als Jesus und die Jünger die Stadt erreichten. Zwischen den Ständen einzelner Händler flatterten Tauben und viele priesen lauthals ihre Ware an oder sie handelten und feilschten miteinander. Schließlich gelangten die Jünger aber an einen Stand, an dem sich zwei über den Glauben an Gott unterhielten. Der eine meinte: "Ich habe schon lange dafür gebetet, dass Gott sich der Armut in unserer Familie annimmt, aber es hat sich noch nichts geändert. Ich verdiene hier gerade soviel, dass wir das Nötigste zu essen haben."

"Warum betest du gegen die Armut? Gott segnet den, der sich zu helfen weiß und der es versteht, sein Geschäft zu führen. Tu dich mit anderen zusammen und lerne von ihnen. Und dann bitte den Herrn, dass du den richtigen Weg einschlägst", antwortete der andere.

Da schaltete sich Jakobus ein: "Wieviel bräuchtest du denn, damit deine Familie für immer aus dem Schneider wäre?" Der Händler lachte und dachte nach. "Also erst mal bräuchte ich einige Rücklagen. Also Geld, auf das ich in der Not zurückgreifen könnte. Und dann wäre einiges an neuem Gerät erforderlich, und ein größeres Haus, in dem ich mehr produzieren könnte."

"Ich weiß von einem Gerät, mit dem man ununterbrochen ernten kann", antwortete Jakobus. Der Mann hinter dem Stand schaute ihn ungläubig an. "Und wenn keine Ernte da ist? Was nützt es dann?"

"Mit diesem Gerät findest du immer etwas zu ernten. Dort, wo du z.B. etwas abgemäht hast, wächst sofort etwas nach. Und dann kannst du es schon wieder schneiden usw.."

"Wo gibt es so etwas?" fragte der andere ungläubig? "Im Reich Gottes", antwortete Jakobus. Denn im Reich Gottes ist das so, dass der, der bittet, empfängt. Und wenn er es empfangen hat, dankt er Gott dafür und gibt im die Ehre. So ist das Gebet das Werkzeug, mit dem du immer wieder etwas einbringen kannst."

"Warum bin ich dann noch arm?"

"Hast du in deinem Herzen schon erkannt, das Gott der größte Reichtum für dich ist? Wenn das so ist, dann habe ich keinen Zweifel, dass Gott dir helfen wird."

"Vielleicht habe ich zu sehr auf den Reichtum geschaut und zu wenig auf Gott." Der Mann hinter dem Marktstand wirkte nachdenklich, als die Jünger weiterzogen und sich auf den Weg zur Synagoge in Nazareth machten. In der Synagoge waren an diesem Tag einige Schriftgelehrte und Gläubige versammelt. Jesus trat, wie er es gewohnt war, in ihre Mitte und erzählte ihnen, wie die Jünger auf dem Weg ihre Gaben eingesetzt hatten und Menschen zu Gott geführt hatten.

Da entgegnete ihm einer der Gelehrten: "Mose hat geschrieben, dass wir den Zehnten zum Hause des Herrn bringen sollen. Wie ist es mit den Gaben, die deine Jünger haben? Wie viel davon sollen sie für Gott einsetzen?"

"Sie sollen sie vollständig für Gott einsetzten," antwortete Jesus.

"Aber dann werden sie mit der Zeit ja ganz arm sein."

"Nein, sie werden immer reicher werden, je mehr sie davon Gebrauch machen." Jesus machte daraufhin auf dem Boden der Synagoge ein Zeichen. Es sah aus, als wenn er einen Erdkreis malte, über dem ein neues Licht aufging.

"Es wird eine Zeit kommen, in der meine Kinder auf der ganzen Welt den Reichtum ihrer Gaben neu entdecken werden. Und mein Vater im Himmel wird ihnen große Autorität verleihen. Dann werden noch größere Dinge geschehen wie jetzt durch meine Jünger."